(Karl und Rosa) Für Geister Eintritt frei (2018)

„Bevor die Deutschen einen Bahnhof besetzen, lösen sie sich eine Bahnsteigkarte.“ (Lenin)

Revolution und Bürokratie. Wie geht das zusammen. Was ändert sich wirklich, wenn zwar die Regierung ausgetauscht wird, die Verwaltung jedoch vom Kaiserreich übernommen...

...als sei es für den Verlauf der sozialistischen Revolution ausreichend, die kapitalistische Regierung zu stürzen und durch eine andere, die Regierung Ebert-Scheidemann zu ersetzen. Ich glaube nicht an Siege und Niederlagen, die nicht aus einer ökonomischen Umwälzung DIE REVOLUTION vom 9. November war noch nicht einmal eine politische. Nur eine kleine Vordergrundsveränderung hat sich vollzogen. Eine gerade Linie läuft von dem Kaiserlichen Reichskanzler Prinz von Baden zum Kaiserlichen Reichskanzler Ebert und zum Kaiserlichen Staatssekretär Scheidemann, hinter denen unbeweglich im Hintergrund Hindenburg steht, bereit, jeden Augenblick hervorzutreten, es genügt nicht, die offizielle Gewalt zu stürzen und durch ein paar Dutzend neuer Männer ES GENÜGT DIES NICHT, ES GENÜGT JENES NICHT. ABER WENN ALLES NICHT GENÜGT, SO HÄTTEN SICH VIELLEICHT AUCH DIE MATROSEN IN KIEL DIE GANZE REVOLUTION SCHENKEN KÖNNEN, UND DANN HÄTTE MAN WILHELM IN SEINEM SCHLOSS LASSEN KÖNNEN.

Von links: Emil Barth (Unabhängige), Otto Landsberg (SPD), in der Bild- und Tischmitte: der erste Volksbeauftragte, Friedrich Ebert (SPD) ICH LASSE MEIN ANTLITZ ÜBER DEM HERRENLOSEN LAND LEUCHTEN. MIR LIEGT DARAN NICHT ZU STÖREN. MIR LIEGT DARAN, ZU VERHINDERN, DASS ETWAS GESCHIEHT, UND, WAS GESCHEHEN IST, UNGESCHEHEN ZU MACHEN. Neben ihm in einigem Abstand der (laut Koalitionsvertrag) gleichberechtigte Vorsitzende Hugo Haase, der auch schon in der SPD gleichberechtigter Parteivorsitzender neben WAS KANN ICH NOCH ÜBER MICH SAGEN. DER BLICK MEINER AUGEN IST NICHT ANGENEHM, ICH BEDECKE SIE DESHALB GERNE MIT MEINEN SCHWEREN LIDERN.

Herr Ebert, wenn Sie bitte Herrn Haase, Ihren ehemaligen Kollegen von der SPD, DIESEN PAZIFISTEN HABEN WIR BEREITS VOR ZWEI JAHREN RAUSGEWORFEN, UND JETZT SITZT ER WIEDER

Zu Ihrer Rechten, Hugo Haase (Gründer und Vorsitzender der USPD, der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei, kurz: die Unabhängigen) AUF DEM TRÜMMERHAUFEN SOLL EINE WELT GEORDNETEN ZUSAMMENLEBENS ENTSTEHEN.

Danke, Herr Haase. Wir sind noch nicht ganz durch, neben Haase am Tisch sitzt wie ausgestopft Wilhelm Dittmann (ebenfalls Unabhängige), daneben elegant drapiert Philipp Scheidemann (SPD) WAS UNS ALLE EINT, SIND AUF JEDEN FALL UNSERE SCHNAUZBÄRTE.

Danke, Herr Scheidemann. Aus den revolutionären Arbeiter- und Soldatenräten wird ein Vollzugsrat gebildet zur Kontrolle dieser Regierung, deren erster Vorsitzender Friedrich Ebert NOCH EIN PAAR WORTE ZU MEINER PERSON. Schreiben liegt mir wie gesagt nicht, Reden halte ich auch nicht, aber Reden halten ja alle. Wenn da mal ein Abgeordneter, der nichts sagt, einzieht, erregt das eher Aufsehen. Was ich mache, sind kleine, richtige Bemerkungen HÖRT, HÖRT! Bemerkungen wie sie jeder machen kann, aber nicht macht. SEHR WOHL! Das bin ich noch gewohnt, war ja Gastwirt, hinter meinem Ausschank habe ich mir das quasi angewöhnt. RICHTIG. Ich kann andere reden lassen und nichts dazu sagen.

(Karl und Rosa) Für Geister Eintritt frei

Deutschland im Taumel der Novemberrevolution 1918. Döblin entwirft das heterogene Panorama einer Gesellschaft, die um Neuordnung und die Gestaltung einer neuen Republik ringt. Diese weltgeschichtlich so aufgeladenen Monate sind auch die letzten Monate im Leben von Rosa Luxemburg. Döblin nähert sich der Ikone der Arbeiterbewegung auf überraschende, ebenso komische wie nachdenkliche Weise.

Felicia Zeller nutzt den Duktus des Originaltextes für ihre Bühnenfassung, die echt Döblin und zugleich ureigen Zeller ist. Sie adaptiert die filmische Erzählweise des Romans, die Form der Montage und die journalistische, anti-psychologische Perspektive. Das Material spitzt sie dramaturgisch zu, verkneift sich dabei nicht den ein oder anderen zeitgenössischen Kommentar und behält gleichzeitig die Unübersichtlichkeit der Revolutionswirren bei. 

(Bastian Häfner)

 

Die Geschichte der Revolution, das ausufernde Erzählwerk Döblins mit solch monumentalen Ereignissen wie die Rückkehr der Fronttruppen oder Massendemonstrationen in der Siegesallee auf Kammerspielgröße zu bringen, ohne an Größe zu verlieren.

(Felicia Zeller)

Uraufführung am 22.02.2019

Theater Magdeburg
in Koproduktion mit theater rampe, Stuttgart
Regie: Marie Bues